Friedenau/Schöneberg

Berlin Friedenau

von Hendrik Cramer, Rik Derksen und Max Paus

 

Zurecht gilt Berlin Friedenau als das Dichterkiez der Nachkriegsliteratur. Nicht nur Günter Grass und Uwe Johnson, die in unmittelbarer Nachbarschaft jahrelang gelebt und gearbeitet haben, sondern auch Max Frisch oder Hans Magnus Enzensberger verbrachten viele produktive Jahre hier.

Günter Grass lebte bis zu seinem endgültigen Umzug nach Wewelsfleth Ende der 1970er-Jahre quantitativ am längsten in Friedenau. Sein Haus sticht  aus der prächtigen Nachbarschaft restaurierter Gründerzeithäuser direkt heraus: Schlichte Backsteinarchitektur, ein kleiner Vorgarten und viele Mansarden prägen das Erscheinungsbild von Grass‘ Berliner Haus. Heute noch, nachdem Grass bereits seit über 30 Jahren ausgezogen ist,  wird das Haus noch von einem seiner Söhne und dessen Familie bewohnt. Auch literarisch verarbeitet Grass seine Zeit in Friedenau im zweiten Teil seines autobiographischen Triptychons, in dem 2008 erschienen Band „Die Box“.

Uwe Johnson, der in der unmittelbaren Nachbarschaft zu Grass in der Niedstraße lebte, benutzte seine dortige Wohnung nur noch als Arbeitsunterkunft. Mit seiner Frau lebte er wenige Straßen weiter. In der Ruhe dieser Arbeitswohnung, die Johnson bis zu seinem endgültigen Umzug nach England nutzte, entstand unter anderem sein Roman „Mutmaßungen über Jakob“, der neben der „Jahrestages“-Tetralogie den weltweiten Ruhm Johnsons begründet.

Johnson und Grass waren in diesen Jahren ebenfalls mit Max Frisch befreundet, der in der Sarrazinstraße lebte. Frisch, der als Schweizer Anfang der 1970er Jahre nach Berlin zog, verarbeitet diese Zeit literarisch in seinen, erst in den letzten Jahren veröffentlichten, „Berliner Journal“. In diesem Werk finden sich neben einigen atmosphärischen Schilderungen der Zeit in Friedenau auch berührende Porträts seiner dort ansässigen Dichterkollegen und Freunde. Heute wird Frischs Wohnung immer noch von der letzten Ehefrau des Dichters bewohnt.

Aber nicht nur Autoren der Nachkriegszeit lebten in Friedenau, sondern bereits zur Zeit der Weimarer Republik wohnten führende Intellektuelle hier. Kurt Tucholsky, an dessen Wohnung in der Bundesallee heute eine Gedenktafel erinnert, ist nur eins von vielen Beispielen.  Auch Max-Hermann Neiße oder Erich Kästner haben im Dichterkiez viele Jahre verbracht. Heute ist es vor allem die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die noch in Friedenau wohnhaft ist.

Die Nicolaische Buchhandlung ist neben den genannten Wohnorten das literarische Zentrum des Viertels. In dieser traditionsreichen Buchhandlung fanden zahlreiche Dichterlesungen, Treffen von ansässigen Schriftstellern etc. statt. Auch heute noch ist diese Buchhandlung auf jeden Fall einen Besuch wert. Bei Betreten des Ladenlokals weht einem immer noch der Duft der damaligen Zeit entgegen, als Friedenau das literarische Zentrum Westberlins war. Überzeugen Sie sich selber und besichtigen dieses literaturhistorisch so bedeutsame und gleichzeitig baulich interessante Viertel Berlins

 

Legende

  1. Max Frisch (Sarrazinstraße 8)
  2. Uwe Johnson (Niedstraße 15)
  3. Günter Grass (Niedstraße 13)
  4. Erich Kästner (Niedstraße 5)
  5. Max-Herrmann Neiße (Stierstraße 14/15)
  6. Nicolaische Buchhandlung (Rheinstraße 65)
  7. Hans-Magnus Enzensberger (Fregestraße 19)
  8. Herta Müller (Menzelstraße 2)
  9. Kurt Tucholsky (Bundesallee 79)

Ebenfalls sehr lohnenswert ist ein Abstecher in das benachbarte Schöneberg. Auch wenn dieses, weiter im Nordosten der Stadt liegende Viertel keine so vielseitige literarische Tradition aufweisen kann wie etwa Friedenau, so haben beinahe alle großen Literaten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hier gelebt. Von Gottfried Benn über Gerturd Kolmar und Ernst Jünger haben viele Schriftsteller und Intellektuelle hier, meist für eine recht kurze Zeit allerdings, ihr Domizil aufgeschlagen. Heute erinnert meist nur noch eine kleine Gedenktafel an die berühmten Bewohner. Zu einer intensiven Verbindung der Schriftsteller, wie in Friedenau in den 1960er- und 1970er-Jahren, kam es dabei allerdings nicht. Interessant ist außerdem die Grabstätte der Gebrüder Grimm auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof. Jakob und Wilhelm Grimm haben nicht nur durch ihre Hausmärchensammlung, sondern vor allem auch durch die Grundsteinlegung für das umfangreichste deutsche Wörterbuch Bekanntheit erlangt und gelten bis heute als die Gründerväter einer systematischen (universitären) Germanistik.

 

Legende

  1. Gottfried Benn (Bozener Straßen 20)
  2. Arno Holz (Stübbenstraße 5)
  3. Gertrud Kolmar (Speyerer Straße 10)
  4. Alfred Kerr (Bamberger Straße 42)
  5. Ernst Jünger (Nollendorfstraße 29/3)
  6. Nelly Sachs (Maaßenstraße 12)
  7. Grab der Gebrüder Grimm: Alter St.-Matthäus-Kirchhof. (Großgöschenstraße, F-s-1-2)