„Was? Das war Niels Thienwiebel? Niels Thienwiebel, der große, unübertroffene Hamlet aus Trondhjem? Ich esse Luft und werde mit Versprechungen gestopft? Man kann Kapaunen nicht besser mästen? …“ Mehr in medias res geht nicht. Jahrzehnte bevor James Joyce den modernen Roman erfindet , machen sich zwei Deutsche daran, Literatur in die Moderne zu werfen.
1889 publizierten Arno Holz und Johannes Schlaf unter dem Pseudonym Bjarne P.Holmsen einen der vielleicht innovativsten Texte deutschsprachiger Literatur. Und machten dabei ziemlich gutes Marketing.
Veröffentlichung und Rezeption.
1889 ist die deutsche Literatur (mal wieder) in einer Sackgasse. Die große Zeit des Realismus ist vorbei. Büchner ist noch nicht so richtig wiederentdeckt. Kafka noch etwas zu jung, um gute Texte zu schreiben. Ende des 19. Jahrhunderts sind es vor allem Namen aus dem Norden, die von sich reden machen: Strindberg, Ibsen oder Hamsun.
Dumm ist es nicht, wenn Holz und Schlaf sich kurzerhand ein norwegisches Pseudonym verpassen. Auch einen Übersetzer denken sie sich aus und lassen diesen den Text als den neuesten Shit aus der Kälte anpreisen. Exotismus soll hier wirken. – Und das ist vielleicht auch nötig, denn fremdartig ist es ja, was da aus dem Poetenkollektiv Niederschöneweide stammt.
Zeitgenössische Leser:innen beklagen Orientierungslosigkeit. Ein Rezensent bemängelt die „Gespreiztheit und Geschmacklosigkeit“ des Textes. Gleichwohl: Unbestreitbar originell sei es eben doch, wie der Rezensent zugesteht. Übrigens geht dieser Kritiker Holz und Schlaf auf den Leim –unbekümmert nennt er sie Bjarne P. Holmsen.
»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage:
Ob’s edler im Gemüt, die Pfeil‘ und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden, oder …
oder? … Scheußlich!«Niels Thienwiebel
Hintergrund und Epoche von Papa Hamlet
Es geht in Papa Hamlet natürlich auch um Hamlet, den ewig zögernden Dänen. Und der wird hier in seiner degenerierten Version dargestellt. Doch Hamlet ist als Niels Thienwiebel nicht mehr nur zögerlich, ödipal verwachsen und hemmungslos überfordert. Ende des 19. Jahrhunderts ist er auch noch zum selbsternannten Avantgardisten entartet. Er ist großspurig, unfähig und mit Sicherheit eine der unsympathischsten Hauptfiguren der Literaturgeschichte.
Papa Hamlet wird oft und gerne mit Hauptmanns Bahnwärter Thiel verglichen. Beide Texte werden als paradigmatische Erzählungen des Naturalismus bezeichnet. Ein Urteil, das durch die Relektüre von Holz und Schlafs Papa Hamlet ziemlich sicher revidiert werden muss. Wenn es so etwas wie eine naturalistische deutsche Novelle des 19. Jahrhunderts gibt, dann ist es Papa Hamlet. Bahnwärter Thiel mag die Grundorientierung teilen. Doch was die Arno Holz und Johannes Schlaf hier für ein Feuerwerk abbrennen ist eine ganz andere Liga.
Gattungstheorie und Papa Hamlet: Medienzusammenschluss nach dem Tod der Lyrik.
Und wenn es um Hamlet geht, dann geht es natürlich immer auch um das Theater. Papa Hamlet entsteht zu einer Zeit, in der die Lyrik zusehends ins Abseits gerät. Noch ist sie nicht da, wo Kittler sie in Ein Mißbrauch von Heeresgerät verortet. Und es ist auch richtig, dass George, Rilke, Benn und Celan erst noch loslegen müssen mit ihrer Produktion. Doch es sind diese vier Dichter doch schon Dichter für Liebhaber. Die Lyrik ist funktional ausdifferenziert, ein Fachdiskurs. Für Prosa und Theater gilt dies zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Alexandra Tischel verweist auf die gebrochenen Bezüge zum Theater und dem Theatralischen. – Aber auch darauf, dass sich hier ein Medienwechsel ankündigt. Das Theater wird nicht nur Thema, es ist auch Strukturprinzip. Gleichwohl erscheint es aufgehoben in der Prosa. Papa Hamlet verweist damit deutlich auf die totale Prosa Arno Schmidts.Und die könnte man –je nach Personalideologie – durchaus als einen Endpunkt der narrativen Prosa verstehen. Muss man aber nicht.
Für wen Papa Hamlet geeignet ist
Was man aber schon machen können müsste: Papa Hamlet lesen. Den Text gibt’s billig bei Reclam, in zig Bibliotheken und selbstverständlich auch digitalisiert. Auch hier gilt, dass es sich dabei kaum um einen besonders aufmunternden Text handelt. Aber dafür sind vielleicht eher die Herren George und Co. zuständig.
Papa Hamlet von Arno Holz und Johannes Schlaf ist ein Text, der Lesenden einen gewissen Widerstand entgegensetzt. Er ist kein gefälliger Text, doch genau das erscheint als seine große Stärke. Leseempfehlung für alle, die das Abenteuer mit einem Text nicht scheuen, der mehr sein will als nur Literatur. Der Anspruch ist Natur zu sein – oder herzustellen. Laut Holz ist Kunst Natur – X. Je weniger X,desto mehr Kunst. Das ist demiurgisch – und ein wenig anmaßend.
Und wer jetzt noch nicht überzeugt ist: Papa Hamlet lässt sich auch hervorragend hassen.
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