Von Hohlwelten und Querdenkern. Clemens J. Setz: Monde vor der Landung

„Wer in Worms lebt, lebt auf dem Planeten Erde. Dieser befindet sich mitten im All und kreist dort, wie jedes Kind lernt, als riesige Kugel um eine noch größere Kugel aus Feuer. Im Jahr 1920 allerdings lebte unter den rund fünfzigtausend Wormser Bürgersleuten ein Mann, auf den nicht einmal das zutraf. Er wohnte zwar ebenfalls, wie sie alle, in Worms, aber darüber hinaus nicht auf, sondern in  einer riesigen Erdkugel, und das bei vollem Bewusstsein und ohne Protest.“ So beginnt Clemens J. Setz‘ Roman über Peter Bender, Hohlwelttheoretiker, Kampfpilot, Opfer des Nationalsozialismus. Der Roman heißt Monde vor der Landung – was schön ambig ist – und ist bereits 2023 erschienen. Jetzt aber liegt das gute Stück auch im Taschenbuch vor. Der Spaß kostet 15 Euro – und das ist er wert. Soviel vorab.

Peter Bender: Ein rheinischer Mensch seiner Zeit

Der Klappentext nennt den Text einen „faszinierend unorthodoxen Roman über Querdenkertum und alternative Wahrheiten“. Im inneren Klappentext wird sogar von einem „Querdenkertum avant la lettre“ gesprochen. Nicht schlecht. Vor allem weil das 2023, im Jahre Eins Post Coronam sicherlich den einen oder anderen Kaufwilligen mehr beschafft. Ein Naziopfer, das darüber hinaus mit einer Jüdin verheiratet war, angesichts der selbstgebastelten Ungeimpft–Sterne „Querdenker avant la lettre“ zu nennen? – Die Diskussion verschiebe ich mal nach hinten. Zunächst also zum Text. Und das heißt hier vor allem: zum Protagonisten.

Peter Bender ist keine fiktive Figur. Es gab ihn wirklich und er war so etwas wie die gewölbte Version eines Flat-Earthers. Peter Bender war der Überzeugung, das wir nicht auf der Außen-, sondern auf der Innenseite der Erde leben. Wenn wir also auf den Himmel zeigen, zeigen wir tätsächlich auf Australien oder China oder Louisana. Und mit diesem extravaganten Weltbild war Bernder nicht allein. Tatsächlich ist er der deutsche Drittentdecker des Hohlglobus, so nennt er es nicht ohne Stolz.

Der allererste Entdecker der Wahrheit war allerdings kein Deutscher, sondern der Amerikaner John Cleves Symmes jr. gewesen, ein Kaufmann aus New Jersey, der in der kurzen Zeit, die ihm auf der Erde vergönnt war (er starb mit achtundvierzig), überraschend tiefe Einsichten in ihre Natur gewonnen hatte.

Der Roman folgt Benders Lebensweg vom Ende der Weimarer Republik bis tief ins Dritte Reich. Rückblenden erzählen davon, wie er zu seinem Weltbild kam. Er ist gewissermaßen ein durch Anschauung Bekehrter:„ Schon während seiner ersten Aufklärungsflüge über den fleckigen Sumpfgebieten an der Weichsel war ihm die optische Täuschung aufgefallen: die K r ü m m u n g  d e r  E r d e. So nannten sie das.“ Charmant, dass sich ein Roman von 2023 des guten alten Sperrdrucks bedient.

Und überhaupt, finde ich, lässt sich Monde vor der Landung als überaus charmant bezeichnen. Vielleicht, dass Setz, der nach eigenem Bekunden durchaus auch auf der Irrationalen Seite zuhause ist, selbst von Peter Bender verzaubert wurde. Wenigstens ein bißchen. Dass Bender eigentlich ein ziemlich egoistischer, feiger und größenwahnsinniger Sack ist, wird einem eigentlich erst im Nachhinein klar. Ist es Mitleid? Sympathie? Gute Frage, die sich alle Lesenden irgendwie selbst beantworten müssen.

Klar ist, dass es sich bei Monde vor der Landung um einen Roman handelt, der gewisse Parallelen zu Christian Krachts Imperium aufweist. In beiden Fällen geht es um die Biografie solcher sendungsbewussten Deutschen Anfang des 20. Jahrhunderts, die es nicht so recht geschafft haben. Die eben kein Stefan George, Rudolf Steiner oder Adolf Hitler wurden. Dass hier technisch nur ein Deutscher genannt wurde, schreibe ich mal der Kontingenz politischer Grenzverläufe zu. Man ist recht nah bei diesen beiden närrisch Überzeugten. Nur bei Setz setzt irgendwann eher Mitleid ein, während bei Kracht keine Ahnung welche Areale des Gehirns angegriffen werden. Letzten Endes Geschmackssache.

Manchmal schien es, als stammten alle Pflanzen, die man in Städte antraf, aus einer einzigen Samentüte, deren Inhalt ein kahlköpfiger Greis mit Wandershut und Schießgewehr aus Rache an der Schöpfung überall verstreut hatte. All dieses joppenselie, dies jägerhaft verworrene Kraut, dieses große, allgegenwärtige Hans-guck-in-die-Luft der grünen Natur: Man wurde innerlich ganz gewalttätig davon.

Geschmackssache ist auch der Abstand zwischen Erzähler und Hauptperson. Bei Kracht ist der ziemlich weit. Irgendjemand nannte den Erzähler von Imperium eine Art Thomas-Mann-Parodie. Wobei Stefan Zweig vielleicht treffender wäre. Bei Monde vor der Landung aber sind wir wirklich nah beim, naja: Helden. Der Erzähler ist zumeist personal/ intern fokalisiert. Dass Peter Bender nicht unbedingt unverrückt ist, zeigt der Roman auf eine Weise, die stark an Büchners Lenz erinnert. 

Die Sprache des Wahns bricht sich Bahn. Verrückte Sätze kommen um die Ecke: „‘Ja, man muss aufpassen‘, antwortete Bender und hielt sich die Schädelnaht fest.“ Das hat durchaus etwas vom magischen Realismus. Nur, dass es sich um diskrete Eindrücke eines intern fokalisierten Irren handelt: „Ein Tag wie der Haarwirbel eines Zinnsoldaten. Wie der Stechschritt eines Veillchens. Wie der Meisterspruch einer Taucherglocke.“ Oder nebst Einbruch des Realen: „Bender steigt vom Fahrrad. Er lehnt es gegen eine Mauer, die in Wirklichkeit ein paar Meter weit entfernt ist, und es fällt sofort um. Er lässt es liegen, geht weiter.“

„Ein Querdenker avant la lettre“?

Den Begriff des Querdenkers gibt es noch gar nicht so lange, laut DWDS etwas seit den späten 1970er Jahren. Stimmt also soweit. Also das mit dem avant la lettre. Und dass Querdenker vor Corona ml was anderes waren oder galten, ist auch ziemlich bekannt. Das Problem ist, dass wir uns après la pandemie befinden. Und dass der Begriff Querdenkerdurch eine ziemlich intensive Arbeit am Begriff eindeutig besetzt ist. Und damit wird der Klappentext zu einem Statement oder zu einem ziemlich blöden Marketingzug. Wenn es ein Statement ist, dann gibt dieses den ungeimpft-Sternen Recht. Kann man machen, muss man aber nicht. Und wenn der Suhrkamp Verlag das so machen will, dann ist das die Sache des Suhrkamp Verlags.

Wenn’s aber nun ein blöder Marketing-Schachzug ist, und der Querdenker und die alternativen Wahrheiten nur dazu animieren wollen, dieses Buch eines durch und durch arrivierten Schriftstellers aufgrund irgendeiner emotionalen Reaktion mit höheren Absatzzahlen auszustatten? Dann ist auch das eine legitime Entscheidung des Verlags. Aber auch irgendwie unwürdig. Ich sag mal so: Bei keinem anderem Publikumsverlag wäre mir das überhaupt nur aufgefallen. Bei Suhrkamp ist es mir sogar aufgestoßen. Auf der anderen Seite profitiert meine Überschrift auch davon. Also Danke.

Warum Monde vor der Landung von Clemens J. Setz lesen?

Der Roman Monde vor der Landung hat indes solche Sperenzchen weder nötig noch verdient. Der Roman ist teilweise ein bißchen sehr dokumentarisch geraten, das wiegen aber die grandios mimetischen Aspekte, in denen der Irrsinn zur Sprache findet, allemal auf. Und apropos Mimesis: neben der Sprache sind die Figuren die große Stärke des Romans. Teilweise geht es haarscharf am Klischee vorbei – und trifft damit voll ins Schwarze. Monde vor der Landung ist ein Roman, den man durchaus wegschmökern kann. – Und bei dem trotzdem das Gefühl bleibt, seine Zeit nicht verschwendet zu haben. – Und das soll ein Lob sein.

Bildnachweis:

http://wiki.astro.com/astrowiki/de/Benutzer:Astro-rolfHohlwelt Abbildung1932CC BY-SA 3.0


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