schon so spät…
Ich sitze hier immernoch im Krankenhaus bei Yeliz.
Zum Glück hat sie sich durch den Brand im Hotel nur eine leichte Rauchvergiftung zugezogen!
In ein paar Tagen ist sie wieder fit.
Ich hoffe es !
Ich weiß, ich dürfte garnicht mehr hier sein..
Aber es hat noch keiner bemerkt.
Ich weiß noch nicht so recht wohin mit mir..
Solange sitze ich hier bei ihr.
Ich lese ihr aus meinem Buch vor, welches ich bei mir trug, als der Brand ausgelöst wurde.
Es ist von Marc Augé und heißt: Tagebuch eines Obdachlosen.
Irgendwie sehe ich mich darin wieder. Vielleicht versteht Yeliz dann, wieso ich so bin und was mir wiederfahren ist bevor ich sie kennen lernte.
Wie sie hierhin gekommen ist?
Yeliz war leider im Hotel. Ich zum Glück gerade auf dem Weg dorthin.
Dann sah ich plötzlich das Hotel in Flammen stehen.
Da war der Rettungswagen und Yeliz. Alles war abgesperrt. Ich konnte nicht zu ihr.
Ich wusste nicht was ich machen sollte.
Dann wurde mir gesagt sie sei hier im Krankenhaus.
Ich bin dann direkt zu ihr und ich bleib hier bei ihr, aufjedenfall.
Wir sind mittlerweile so gute Freunde geworden.
Uns verbindet die Liebe zur Literatur!
Dort fing unsere Freundschaft auch an, als wir uns in der Bibliothek kennen lernten.
Ich glaube, nein ich bin mir sicher! – wir werden diese Liebe zu Büchern immer teilen.

Maurice

Herbst (2)

Heute ist es kalt wie im Herbst. Die Leute an der Bar bestellen Tee. Ende Juni. Ich sitze drinnen und schreibe weiter, denn Yeliz fragt unaufhörlich „Was ist passiert?“ und ich antworte seit Wochen „Diese Frage kann Literatur nicht beantworten“ und schreibe weiter:

„Kurz darauf entfesselte sich der Wahnsinn der Welt. Man stellte mich an die Wand wie viele andere auch. Weswegen? Wegen nichts. Die Gewehre gingen nicht los. Ich sagte bei mir: Gott, was machst du? Ich habe dann aufgehört, mich unsinnig aufzuführen. Die Welt zögerte – und kam dann wieder ins Gleichgewicht. Mit der Vernunft kam mir auch die Erinnerung zurück, und ich sah, daß ich selbst an den schlimmsten Tagen, wenn ich mich ganz und gar unglücklich glaubte, fast immer äußerst glücklich war. Das gab mir zu denken.“

Maurice

Treppentexte II

Maurice hat weitergeschrieben. So richtig schlau werde ich nicht daraus. Wenn mich jemand fragen würde ‚was hat er erlebt‘, ich wüsste nicht, was ich antworten sollte. Obwohl wir reden. Er schreibt:

„Ich habe Menschen geliebt, ich habe sie verloren. Ich bin darüber wahnsinnig geworden, denn das ist die Hölle. Aber mein Wahnsinn blieb ohne Zeugen, meine Verstörtheit kam nicht zum Vorschein, nur mein Innerstes war wahnsinnig. Manchmal wurde ich wütend. Man sagte zu mir: Warum sind sie so ruhig? Dabei brannte ich am ganzen Körper. Nachts strich ich heulend durch die Straßen, am Tag arbeitete ich friedlich.“

Und ich lese.

Yeliz

erzählen

Es ist Sommer. Ich war am Rhein. Dort habe ich den Kurs für den Abend vorbereitet. Über Mittag, als es besonders heiß war, saß ich mit Yeliz in der Bibliothek. Sie fragt, warum ich hier bin. Einfach ist es nicht, das zu erzählen. Aber welche Geschichte lässt sich leicht erzählen. Yeliz bat mich, weiterzuschreiben.

Maurice

König III

Wer will König sein?
Wer will das Zepter halten?
Wer will oben sitzen?
Wer will den schweren Mantel tragen?
Wer will die Königin neben sich?
Wer will Vasallen?
Wer will Gefolgschaft?
Wer will niemals allein sein?
Wer will immer allein sein?
Wer will den Ton angeben?
Wer will für sich tanzen lassen?
Wer will ernsthaft heute ein König sein?

Yeliz

Treppentexte

Maurice schreibt für mich!
Er legt die Texte im Treppenhaus aus.
In der erste Etage finde ich diesen:

„Ich bin umhergeirrt, bin von Ort zu Ort gegangen. In Zeiten der Ruhe hielt ich mich in einem einzigen Zimmer auf. Ich war arm, dann reicher, dann wieder ärmer als viele. Als Kind hatte ich heftige Leidenschaften, und alles, was ich begehrte, erhielt ich. Meine Kindheit ist verschwunden, meine Jugend dahingegangen. Was liegt daran! Ich bin glücklich über das, was war, was ist, gefällt mir, was kommt, kommt mir recht.“

In der zweiten diesen:
“Ist mein Dasein besser als das der anderen? Das mag sein. Ich habe ein Dach über dem Kopf, viele nicht. Ich bin nicht aussätzig, und ich bin nicht blind, ich sehe die Welt, welch außergewöhnliches Glück! Ich sehe den Tag – den Tag, außerhalb dessen nichts ist. Wer könnte mir das nehmen? Und wenn dieser Tag verlischt, verlösche ich mit ihm; dieser Gedanke, diese Gewißheit versetzt mich in Entzücken.”

Oder hat er sie verloren?

Yeliz

Geld

Yeliz habe ich ein paar Tage nicht gesehen. Das letzte Mal saß sie in der Bibliothek und hat geschrieben. Ich wollte sie nicht stören. Langsam geht mein Geld aus. Irgendwas muss ich mir einfallen lassen.

„Ist mein Dasein besser als das der anderen? Das mag sein. Ich habe ein Dach über dem Kopf, viele nicht. Ich bin nicht aussätzig, und ich bin nicht blind, ich sehe die Welt, welch außergewöhnliches Glück! Ich sehe den Tag – den Tag, außerhalb dessen nichts ist. Wer könnte mir das nehmen? Und wenn dieser Tag verlischt, verlösche ich mit ihm; dieser Gedanke, diese Gewißheit versetzt mich in Entzücken.“

Ein paar Stunden als VHS-Lehrer? Da kann man auch abends arbeiten. Das würde mir gefallen.

Maurice

König II

Der König, er hat mich inspiriert.

Mit dieser Energie, die in all seine Gliedmaßen floss und ihn so wunderschön tanzen ließ, sobald das A erklang.
Denn auch ich begann zu tanzen, aber es waren nur meine Hände und mein Geist, die tanzten. Sie tänzelten über das Parkett der Buchstaben und Worte.

Und ich schrieb nieder, was ich empfand, als ich ihn dort sah, den König, vor seinen Untertanen, umzingelt von all den stummen Herzen, denen auch ich angehörte.

Aber das A, es hat meinem Herz eine Stimme verliehen. Es ist nicht mehr stumm und regungslos. Es pulsiert und ruft:
A– wie Aufbruch!
B– wie Bereicherung!
C– wie Cappuccino!
D– wie Danke!
E– wie Einsa.. Erleben!
M– wie Maurice…

Wir haben uns schon einige Tage nicht gesehen.
Vielleicht gehen wir gemeinsam in ein Konzert, lauschen dem Klang des A’s und sehen dem König im Frack beim Tanzen zu.
Und vielleicht wird Maurices Herz auch eine Stimme verliehen.
Ich gehe ihn suchen.

Yeliz

König

Waschecht und aus Fleisch und Blut, stand er dort auf seinem Thron. Unter ihm saßen all seine Untertanen. Sie vergötterten ihn, folgten jeder seiner Bewegungen und ließen nie von ihm ab.

So dachten sie eine Zeit lang, sie wären allein, doch da waren viele stumme Herzen, die sie beobachteten; still und aus der Ferne. Stille Beobachter, die laut jubelten, sobald der König sich umdrehte und sie empfing.

Der König, eine mächtige und imposante Gestalt – doch er trug das Herz genau am rechten Fleck. Und dieses Herz glühte und sprudelte, als wäre es aus Feuer und Wasser zugleich. Und diese Energie glitt in Füße und Beine, in Rücken und Schultern, in Nacken und Kopf, in Arme und Hände, in Gesicht und Fingerspitzen und sie alle wurden augenblicklich stark und groß wie das Geäst eines Baums. Und doch waren sie beweglich und filigran wie kleine Stichlinge im Wasser.

So stand er da, vor seinen Untertanen und den stillen Beobachtern und tanzte wunderschön, stark und filigran. Und jedermann, der ihn so betrachtete und sein sprudelndes, glühendes Herz erblickte, der musste augenblicklich weinen, weil es vielleicht das Schönste war, was er jemals in seinem Leben gesehen hatte.

Und, was war es wohl, das des Königs Herz zum Sprudeln und Glühen brachte? Was war es, was ihn so wunderschön tanzen ließ?
Das A.

Yeliz