Bisher keine versteckte Kamera gesichtet. Werde auch nicht suchen.

2011
10.04

Könnt ihr euch noch daran erinnern, dass ich mein Mitbewohner Santa eine gute Romanfigur wäre? Mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich nicht doch in einer Fortsetzung von „Auberge Espagnol“ gelandet bin, quasi „Erasmus Truman Show“. Meine WG ist vom Drehbuchautor auffällig vorzeigbar international konzipiert – bisher hat sich keine Nationalität gedoppelt.

5/7

Vielleicht ist bisher die Handlung etwas langweilig, WG-mäßig halt – Wir kochen jeden Tag zusammen, feiern zusammen, hocken in der hässlichen Küche nur weil es dort Teewasser und Kommunikation gibt, essen uns gegenseitig unser Essen weg und haben mittlerweile Essens- und Biervorrat im Kleiderschrank, weil die Küche voll ist.

Es fehlen für den Roman aber noch die Affären, Intrigen und körperliche Gewalt (wegen Essensklau). Gut, dass ich an der Quelle sitze und die Informationen direkt an euch weitergebe. Das Drehbuch lässt uns wohl noch einen Monat Zeit für normale WG-Streitereien.

Die meisten Mitbewohner kennt ihr schon aus „Was bisher geschah…“. Wir haben bisher kein einziges Mal alle in einem Raum gesessen, nicht weil die Küche so klein ist (das ist sie zwar, aber das war noch für nichts ein Hindernis, mit viel Motivation kriegt man sicher 20 Leute in die Küche), sondern weil wir eigentlich nie gleichzeitig da sind. Und vor allem: weil ständig wieder irgendwer aus- und einzieht. Seit ich da bin, hatte ich jetzt in der Gesamtsumme zehn Mitbewohner (ohne Couchsurfer), und das, obwohl durchgehend (!) immer mindestens (!) irgendein Zimmer frei ist. Gerade ist zum Beispiel die Amerikanerin ausgezogen. Ich kam nach Hause, hab einen Tee aufgesetzt und plötzlich war ihr Zimmer leer. Sie ließe mich schön grüßen, aha. (Santa hat übrigens bis gestern Abend nicht gemerkt, dass sie ausgezogen ist, da war sie schon drei Tage weg). Alle waren genauso erstaunt wie ich.

Vielleicht hat sie uns belauscht, dass wir uns über ihr Küchen-Problem lustig machen. Denn das war so:

Eines Morgens, ich war in Ruhe am Zähne putzen, klopfte es hektisch an der Badezimmertür, und ich hörte irgendeinen wilden aufgebrachten spanischen Redeschwall mit amerikanischem Akzent. Schnell hab ich mir genug angezogen, um das Bad freizugeben, weil ich die Verzweiflung in der Stimme als „Hilfe, lass mich dringend aufs Klo, ich sterbe!“ interpretiert habe. Als ich aus dem Bad rauskam, war Christina aber weg. Hab „Bad ist frei“ in ihr Zimmer gerufen, aber dann kam sie aufgeregt aus der Küche gestürmt, „Nein, nein! Hier!! Hier!! In der Küche. Komm schnell!“. Das hat mich natürlich neugierig gemacht: Eine Entdeckung, für die es sich lohnt, jemanden intim im Badezimmer zu stören (und das um die Uhrzeit!). Ich hatte die Wahl zwischen pünktlich zu meiner Frühstücksverabredung zu kommen, oder mir ihre Story anzuhören – auf in die Küche! Da stand sie, den Schrecken ins Gesicht geschrieben. Mit nacktem Finger zeigt sie beinah panisch erregt auf die Küchenablage. „Da waren Ameisen! Ameisen!! AMEISEN!!!!!!“

Aha, Ameisen also. Ich hab irgendeinen Laut gemacht, so Richtung „oh!“ oder „mh!“ und musste mich zusammenreißen, nicht in Lachen auszubrechen.

Aber ihr war es bitterernst: Festentschlossen, in der Mission zu kämpfen, nahm sie die Putzmittel zur Hand, und bot mir an, ihr zu helfen, die Plage zu beseitigen. Gift hatte sie schon gekauft. Ups. Ich schlug vorsichtig vor, vielleicht in einer WG-Runde mal anzusprechen, keine Essensreste auf der Ablage liegen zu lassen. Naja, und das mit dem Gift müsste ja nicht sein… von der Ablage essen wir ja auch und so.

Äähhh und ich bin leider jetzt verabredet, ich würde dir so gern helfen!! Bon courage!

Tags darauf stellte sich bei einem Tee mit Camille (wohnt zwei Zimmer weiter) heraus, dass sie mit Christina die exakt selbe Situation hatte. Abends kam ich mit Santa ins Gespräch, und er konnte wunderbar die aufgebrachte Christina nachmachen, wie sie wiederum auch ihn versucht hat, gegen die Ameisen aufzubringen. Das Beruhigende: die beiden haben EXAKT wie ich reagiert: gespieltes Erstaunen, aufgezwungener Ernst, beruhigende Worte,  vorsichtiges Abraten vom Gift.

Christina hat also respektvolle, wenn auch verständnislose Mitbewohner erlebt, und hat trotzdem Reißaus genommen. Jedenfalls ist das die lustigste Vermutung. Vielleicht auch, weil sie Angst vor Tellerstapeln hatte: Wir haben nämlich mal zwei Tage konsequent das Geschirr von Oscar nicht abgewaschen, damit er sieht, dass spülen durchaus wichtig sein kann, vor allem, wenn irgendwann keine Teller mehr da sind.

Christina hatte nach dem zweiten Tag vorgeschlagen, den Vermieter anzurufen: das mit dem Nicht-Abspülen könne ja so nicht weiter gehen. Unsere Reaktion? Beruhigende Worte, vorsichtiges Abraten vom Gift.

Die wahrscheinlichste, vielleicht langweiligste Theorie für ihren Auszug ist, dass Christina ein Zimmer MIT Fenstern gefunden hat.

Lieblings-WG-Essen: Pitataschen. Kommt alles rein, was wir im Kühlschrank finden.

 

 

… und in der nächsten Folge „Auberge gaditano“ erfahrt ihr, warum Geld doof ist und Trittbrettfahrer in der WG nur sehr vorübergehend erwünscht sind.

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