Gedanken auf dem Fensterbrett. Schnell weg hier, sonst ist's vorbei mit der Dichtung. Schreibt Kafka.

Nur so kann geschrieben werden – Kafkas Kasteiungen

Wie kann geschrieben werden? Am 14. August 1913 schreibt Franz Kafka in sein Tagebuch: „Der Coitus als Bestrafung des Glückes des Beisammenseins. Möglichst asketisch leben, asketischer als ein Junggeselle, das ist die einzige Möglichkeit für mich, die Ehe zu ertragen. Aber sie?“ (574)

Und am Tag darauf: „Qualen im Bett gegen Morgen. Einzige Lösung im Sprung aus dem Fenster gesehn.“ Der Glaube, trotz allem in einer Ehe bestehen zu können sei „ein Glaube, den ich gewissermaßen schon auf der Fensterkante fasse.“ (576–577)

Es wird nichts aus dieser Ehe. Nüchtern zieht Kafka Bilanz. „Folgerungen aus dem Urteil für meinen Fall. Ich verdanke die Geschichte auf Umwegen ihr. Georg geht aber an der Braut zugrunde.“ (574)

Wie geht Georg Bendemann in Das Urteil zugrunde?

Franz Kafka also hat nicht die Absicht, an „der Braut zugrunde“ zu gehen. Aber wie würde das aussehen, wenn er so zugrundeginge wie Georg an seiner Braut? Wie geht Georg denn zugrunde?

  • Georg Bendemann (Protagonist von Das Urteil) ist verlobt
  • Diese Verlobung teilt er einem ominösen Freund nicht mit
  • Sein Vater, der ziemlich deutlich Anzeichen von Demenz trägt, verurteilt Georg zum Tode, auch wegen des Freundes
  • Georg Bendemann springt von einer Brücke

Die Ehe: eine Kafkaeske Disziplin?

Die Verlobte in Das Urteil als Ursache für Georgs Sprung von der Brücke zu sehen, ist schon eine ziemlich eindeutige Interpretation. Sie ist nicht unbedingt die naheliegenste. Es scheint, dass Georg eigentlich an seiner verkrüppelten Beziehung zu seinem Vater zugrundegeht. Oder an der zu seinem Freund. Oder einfach generell an seinem kaputten Verhältnis zur Welt. Aber an der Verlobten?

Lassen wir mal den Sexismus eines Franz Kafka beiseite — der ist ein eigenes Thema. Und ich glaube, dass er leider gar nicht so de-essentialistisch ist, wie Lorenz meint.

Nimmt man diese kurze Auto-Interpretation ernst, dann ist Georgs Problem vor allem, dass er sich verlobt hat. Eine irgendwie verrückte Interpretation, wenn man Das Urteil kennt, aber egal. Wenn das so ist: Warum ist das so?

Nur, wie kann geschrieben werden?

Ich denke, es ist durchaus angebracht, hier auf das Eingangszitat zu verweisen. Das pikante. Das mit dem Coitus als Bestrafung. Auch dies erscheint ja eher… besonders. Wobei: Sex als den Gipfel und damit Endpunkt einer Beziehung zu beschreiben, wäre auch eher verkürzend. Es offenbarte auch das eine oder andere Defizit. Aber Sex als Bestrafung zu lesen, verweist dann eben auf bestimmte Issues. Um es mal sozusagen vorsichtig auszudrücken.

Sex ist die Strafe für’s Beisammensein

Die Ehe ist notwendig, aber sie ist eben nur zu ertragen, wenn man asketisch lebt. Ehe ohne Sex, das ist das Ideal, das Kafka hier vorzuschweben scheint. Das ist ja in Ordnung so.

Blöd nur, dass er diesen unseligen Zweiwortsatz „und Sie?“ hinterhersetzt. Was heißt das? Bezieht sich dieses „sie“ auf Frau Felice Bauer, die Verlobte resp. Ex-Verlobte? Oder bezieht sich das „sie“ auf „das Weib“, also diese Entität, die spätestens seit den Verfassern der Genesis durch die Kulturgeschichte geistert und Frauen eine tiefere, unersättliche, weil natürliche Sinnlichkeit zuschreibt?

Das ist jetzt keine Antwort, die ich hier geben kann. Aber die Frage zu formulieren, ist es ja schon ein Anfang.

Nur so kann geschrieben werden

Trotzdem muss damit nicht Schluss sein. Kafka formuliert in seinen Notizen auch einen Ausweg. „Qualen im Bett“, die „Einzige Lösung im Sprung aus dem Fenster gesehen“… Kafka hatte da auch schon produktivere Möglichkeiten, wie geschrieben werde könnte gefunden. Eine davon schilderte er ein knappes Jahr vorher. Und zwar genau in dem Moment, in dem er Das Urteil beendet hatte: 

Diese Geschichte „das Urteil“ habe ich in der Nacht vom 22 zum 23 von 10 Uhr abends bis 6 Uhr früh in einem Zug geschrieben. Die vom Sitzen steif gewordenen Beine konnte ich kaum unter dem Schreibtisch hervorziehn. […] Mehrmals in dieser Nacht trug ich mein Gewicht auf dem Rücken. […] Die leichten Herzschmerzen. […] Nur so kann geschrieben werden.

T 460–461

Asketismus genügt nicht. Man muss sich auch quälen. Kafkas Werk: Ein Raub an der Libido. Nur so kann geschrieben werden.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert