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Das Videospiel als Medium: Versuch einer Definition

Ariane Hertel, Masterstudiengang Modernes Japan

Intuitiv bezeichnen wir in Alltagssituationen Videospiele als Medien und auch in den Medienwissenschaften werden klassische Medientheorien wie selbstverständlich auf Videospiele angewendet. Wenn zum Beispiel im gesellschaftlichen Diskurs nach Computerspielsucht gefragt wird oder der Einfluss von Egoshootern auf Gewaltpotentiale medial diskutiert wird, werden diese Forschungsfragen gerne mit Erkenntnissen aus dem Bereich der Medienwirkungsforschung abgehandelt.

Ob Videospiele Medienprodukte sind, scheint hiermit also bereits zur Genüge beantwortet zu sein. Die Frage bleibt aber, was genau dieses Medium aber nun ausmacht und ob es überhaupt möglich und sinnvoll ist, die gesamte Brandbreite an Videospielen als eine Medienkategorie zu definieren. Mit diesen Fragen möchte ich mich in diesem Blogbeitrag genauer auseinandersetzen.

Was sind Medien?

Um Videospiele in ihrer Medialität einordnen zu können, muss zunächst definiert werden, was ein Medium überhaupt ausmacht. Aus dem lateinischen Wort „medium“ abgeleitet, bedeutet das Wort ursprünglich so viel wie das Mittlere, Mittel oder auch Vermittler (Bentele et al. 2013: 201). Da nach dieser Mediendefinition selbst die gesprochene Sprache und Gesten Kommunikationsmedien wären, wird der Medienbegriff häufig um eine technische Komponente erweitert. So unterscheiden die kommunikationswissenschaftlichen Medienwissenschaften gerne Medienarten anhand ihrer technisch-materiellen Form in Printmedien, Funkmedien, (Bewegt-)Bildmedien oder Netzmedien (Bentele et al. 2013: 202). Ebenfalls häufig gebraucht ist die Kategorisierung anhand dessen, was das Medium vermittelt: Informative Medien sind Informationsmedien, unterhaltende Medien sind Unterhaltungsmedien, kommunikative Medien sind Kommunikationsmedien. So weit so gut. Doch leider fallen bei diesen Definitionen gerade neuere Medienprodukte häufig durchs Raster.

Technisch-materielle Definitionen geraten durch die anhaltende Technisierung an ihre Grenzen: Was genau unterscheidet beispielsweise „Neue Medien“ von „elektronischen Medien“ und von „Netzmedien“? Sind „Computermedien“ deckungsgleich mit „Netzmedien“? Neu entstehende Definitionen hängen der technischen Entwicklung hinterher und sind bereits wenige Jahre nach ihrer Veröffentlichung leider nicht mehr up-to-date.

Und ebenso verschränken sich die Medieninhalte. Infotainment möchte ebenso informieren wie unterhalten, aber macht das Infotainment-Formate zu informativen Unterhaltungsmedien oder zu unterhaltenden Informationsmedien? Wenn ich auf einem Server mit einer weiteren Person chatte, betreiben wir beide dann interpersonale Kommunikation, weil nur zwei Leute schreiben? Betreiben wir Kleingruppenkommunikation, weil andere Leute auf dem Server mitlesen? Oder betreiben wir tatsächlich Massenkommunikation, weil wir nur einen „Kanal“ der Serverbetreibenden darstellen, die die durch Organisieren und Moderieren des Servers die eigentlichen Kommunikatoren in diesem Szenario sind?

Diese Grenzen des Definierbaren erklären vielleicht, warum sich in den Grundlagenwerken der kommunikationswissenschaftlichen Medienwissenschaften selten bis gar keine Verweise auf Videospiele finden lassen. Und das obwohl ihnen durchaus zugestanden wird „nach der Fernsehnutzung zu den intensivsten und z.T. exzessivsten medialen Beschäftigungen überhaupt“ (Bentele et al. 2013, 43-44) zu gehören.

Was sind Videospiele?

Ebenso wie Medien lassen sich auch Videospiele anhand ihrer technisch-materiellen Form unterscheiden, indem man sie z.B. nach Plattformen unterscheidet. Und ebenso wie die Mediendefinition stoßen auch Videospieldefinitionen zunehmend an ihre Grenzen. Eine Unterscheidung von Videospielen in Computerspiele, Arcadespiele, Handygames und Konsolenspiele hat bestimmt einmal Sinn ergeben, bevor es Multiplattform Releases gab. Und bestimmt lässt sich einiges Interessantes über Unterschiede in Gameplay und Nutzungsverhalten von Spielenden in dem Spiel Monster Hunter für den PC und für die Konsole erheben. Aber wie sinnvoll ist eine solche Kategorisierung z.B. unter Berücksichtigung von Emulatoren? Oder wie kategorisiert man dann das Spiel Doom, das aufgrund seines einfachen Codes auch auf Taschenrechnern und Druckern läuft?

Ebenso wie sich Plattformgrenzen aufweichen, verschwimmen auch Kategorisierungen nach Online- und Offlinespielen zunehmend miteinander. Es gibt Spiele, die sich nicht mit dem Internet verbinden lassen und es gibt Spiele, für die eine Internetverbindung notwendig ist. Ebenso gibt es Spiele mit optionalen Offline- oder Onlinemodi. Es gibt sowohl On- wie Offlinespiele für Single Player und Multiplayer.

Judd Ethan Ruggil und Ken McAllister definieren in “Gaming Matters: Art, science, magic, and the computer game medium” das Videospiel als idiosyncratic, irreconcilable, aimless, anachronistic, duplicitous, work and alchemical. Mit dieser Definition umgehen sie die bekannten Definitionsgrenzen und versuchen das, was ein Videospiel ausmacht neu in Worte zu fassen.

Ich verwende den Begriff „Videospiel“ in diesem Blogbeitrag allgemein für Spiele auf technischen Plattformen. Aber inwiefern sich so definierte Spiele von Brettspielen und Rollenspielen (pen and paper, LARP etc.) unterscheiden, werde ich hier zwar nicht diskutieren, sollte aber ebenfalls hinterfragt werden ( – zumal sich auch hier Formate vermischen können).

Das Videospiel als Medium

Wenn nun diskutiert wird, ob Videospiele ein Kulturmedium oder ein Erzählmedium sein können, beziehen sich diese Diskussionen auf das, was Videospiele den Spielenden vermitteln können. Können Videospiele bedeutungsvolle Inhalte vermitteln? Tragen diese Inhalte zu unseren menschlichen Erfahrungen bei?[1] Hier zeigen sich dementsprechend Diskursverschränkungen mit den Fragen, ob Videospiele auch Kultur oder gar Kunst sein können.

Der Stempel „Medium“ ist in diesen Kontexten also auch als eine Anerkennung zu verstehen, eine Aufnahme des Videospiels in die Riege von Theater und Literatur, deren Vermittlerrolle von bedeutungsvollen Inhalten und gesellschaftlichen Werten heutzutage zumindest nicht mehr in Frage gestellt wird.

Insofern verwundert es vermutlich wenig, dass in diesen Debatten häufig Videospieltitel genannt werden, die besonders durch ihre Kinematographie auffallen und sich in ihren Erzählstrukturen an Drehbüchern orientieren. Diese erzählende und vermittelnde Ebene von Videospielen wird in den Game Studies auch als die narrative Ebene bezeichnet. Sie wird in Diskussionen um Videospiele als Kulturmedium gerne dem scheinbar sinnlosen zocken gegenübergestellt und überbetont. So schreibt zum Beispiel Daniel Kehr für den Artikel Relevanz von Videospielen: Wirtschaftswunder mit Image-Problem für den mdr: „Die Interaktivität von digitalen Spielen lässt neue Formen der Erzählung zu. Spielende können scheinbar unmittelbar am Geschehen der präsentierten Geschichte teilhaben, diese sogar beeinflussen. Konsumenten wechseln so vom passiven ins (inter-)aktive Lager. In Spielen wie Detroit – Become Human etwa bestimmt der/die Spielende den weiteren Verlauf der Geschichte.“ (Kehr 2019).

Ergänzt wird eine narrative Ebene in Videospielen aber auch um die ludische. Ludische Elemente im Spiel wären dementsprechend die Interaktionen der Spielenden mit dem Spiel, das gameplay. Und auch diese ludische Ebene kann vermitteln – nämlich Fähigkeiten. Auge-Hand-Koordination, Schnelligkeit, logisches Denken und decision making zum Beispiel. Ob Videospiele eher narrative oder ludische Schwerpunkte haben, hängt ganz von dem jeweiligen Spiel sowie der Schwerpunktsetzung der Spielenden ab.

Fazit

Videospiele sind ein sehr spannendes und sehr vielfältiges Medium, das von unterschiedlichen Forschenden als Computermedium, Netzmedium, Neues Medium oder elektronisches Medium kategorisiert wurde. Diese Definitionen sind bislang schwammig und stoßen aufgrund technischer Neuerungen zunehmend an ihre Grenzen.

Spiele auf unterschiedlichen Plattformen verbindet mehr, als sie trennt. Ob man sie nun unter Videospiele (Betonung der Visualität), Computerspiele (Betonung der Elektronik) oder japanisch gēmu fassen wird oder sich ein neuer passender Begriff entwickelt, wird sich zeigen.

Videospiele können ein Erzählmedium sein. Sie können ein Unterhaltungsmedium sein. Sie können ein Informationsmedium sein. Neben klassischen Storytelling sind sie aber auch in der Lage gewisse Fähigkeiten zu trainieren. Videospiele funktionieren aber auch ohne narrative Schwerpunkte und auch diese Spiele sind Medien.

Quellen

Bentele, Günter, Hans-Bernd Brosius und Otfried Jarren. 2013. Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft (2., überarb. und erw. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.

Kehr, Daniel. 2019. Relevanz von Videospielen: Wirtschaftswunder mit Image-Problem. mdr, 11. Dezember 2019. https://www.mdr.de/medien360g/medienkultur/videospiele-als-leitmedium-der-zukunft-100.html (aufgerufen 30.11.2021).

Ruggill, Judd Ethan und Ken S. McAllister. 2011. Gaming matters: Art, science, magic, and the computer game medium. Tuscaloosa: University of Alabama Press.


[1] Gerne verschränken sich diese Diskurse über die Vermittlerrolle von Videospielen auch mit dem Jugendschutz: Vermitteln Videospiele „die richtigen Inhalte“ an Kinder und Jugendliche?

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