Podiumsdiskussion: Zukunft der Informationswissenschaft

Am 23.03.2012, dem zweiten Tag der DGI-Konferenz, war eines der Highlights wohl die Podiumsdiskussion zum Thema „Zukunft der Informationswissenschaft“, moderiert von Wolfgang G. Stock. An der Diskussionsrunde nahmen mit folgenden Kernthesen teil:

Willi Bredemeier (Password): Informationswissenschaft ist eine Verhaltenswissenschaft, eine politische Ökonomie.

Stefan Gradmann (DGI): Die Dokumentation muss sich als Teil der Web Science neu erfinden und dementsprechend auch anders betitelt werden.

Hans-Christoph Hobohm (FH Potsdam): Information und Dokumentation sind nur dann praxisrelevant, wenn sie über Shannon und Turing hinausgehen. Die Informationswissenschaft muss sich mehr dem praktischen Handeln zuwenden.

Marlies Ockenfeld (IWP): Informationswissenschaft sollte sich auf die theoretischen Grundlagen der Dokumentation und ihre Anwendungssysteme konzentrieren.

Christian Schlögl (Uni Graz): Die deutschsprachige Informationswissenschaft muss forschungsmäßig verankert werden.

Zu Beginn der Podiumsdiskussion stellte der Moderator zunächst die Themen und Fragen vor, um die es in der Diskussion primär gehen sollte:

  1. Stand der Informationswissenschaft in deutschsprachigen Ländern: Gibt es Unterschiede zu anderen Ländern? Wo liegen unsere Stärken und Schwächen? Welche Hindernisse und Chancen gibt es?
  2. Stand der Informationspraxis in deutschsprachigen Ländern: Was unterscheidet die heutige Informationspraxis von der Dokumentation? Welche Kompetenzen müssen Informationspraktiker beherrschen?
  3. Wie ist das Verhältnis von Informationswissenschaft und Informationspraxis zur Web Science und zu Social Media?

Erster großer Diskussionspunkt war der Stand der deutschen Informationswissenschaft. Nachdem Willi Bredemeier betonte, dass die die deutsche Informationswissenschaft noch besser sei, als es im Tagungsband rauskäme, legte Christian Schlögl seine Ansichten dazu dar. Die kontinentaleuropäische Informationswissenschaft sei nicht so stark ausgeprägt wie sie sein sollte, da aktuelle Themen von den Nachbardisziplinen und nicht von der Informationswissenschaft selbst behandelt werden. Des weiteren führte er Untersuchungen aus dem Zeitraum 2000 bis 2012 vor, die zeigen, welche Länder in der Informationswissenschaft führend sind. An erster Stelle stehen derzeit mit Abstand die USA. Allerdings sei China bereits dabei, aufzuholen. Auch innerhalb Deutschlands wurde ein Ranking innerhalb des Untersuchungszeitraums erstellt. Dabei zeigte sich, dass an erster Stelle die Humboldt Universität Berlin steht, gefolgt von der Bayer Staatsbibliothek an zweiter und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf an dritter Stelle.

Anschließend bezog Hans-Christoph Hobohm Stellung zum Stand der Informationswissenschaft und führte an, dass die Informationswissenschaft noch zu wenig von anderen Disziplinen profitiere, besonders denen, die sich mit dem Menschen beschäftigen, wie der Kognitionswissenschaft. Besonders bemängelte er jedoch, dass der Informationspraxis noch viel Theorie fehlt und sagte: „Wir können nicht einfach ein Semanic Web aufbauen und erst später merken, dass es nicht geht.“.

Stefan Gradmann gab bezüglich des Standes der Informationswissenschaft zu denken: „Wenn wir uns beklagen, dass wir im Ausland nicht wahrgenommen werden, dann vielleicht auch, weil wir nicht wahrnehmen, was die anderen tun“.

Daraufhin kam eine Diskussion bezüglich der Definition von Dokumentations- und Informationswissenschaft auf. Informationswissenschaft müsse innerhalb des Begriffes Web Science neu definiert werden. Es gehe nicht darum, möglichst viele Informationen zu akkumulieren, sondern sie so darzustellen, dass daraus Wissen wird. Die Informationswissenschaft brauche ein anderes semiologisches Fundament, so Stefan Gradmann.

Marlies Ockenfeld bemerkte diesbezüglich, dass bereits in der damaligen Definition des Begriffes Dokument gesagt wird, dass ein Dokument jedwede Form annehmen kann, solange es Wissen repräsentiert. Sie kritisiert, dass die Dokumentationswissenschaft damals auf einem höheren Stand als heute war und eine Trivialisierung stattgefunden hat, wenn man bedenkt, dass auch frei vergebene Tags in Flickr als Bestandteil informationswissenschaftlchen Handelns gesehen werden. Sie erklärt außerdem, dass heute auch aus Kostengründen nicht mehr detailiert genug gearbeitet und erschlossen wird, und auch die Informationskompetenz müsse besser werden.

In Bezug auf Flickr hakte Moderator Wolfgang G. Stock nach, dass Flickr usw. doch Erweiterungen in der Informationswissenschaft seien. Marlies Ockenfeld negiert dies, und sieht diese Tatsache eher als eine Verflachung, woraufhin sich Clemens Weins aus dem Publikum zu Wort meldete und ihr widersprach, da die Maschinen jetzt viel mehr könnten und man mittlerweile mit einer viel komplexeren Umgebung umgehen können müsse. Darufhin entgegnete sie: Dokumentationswürdigkeit!

Nachdem sich die Diskussion kurz um die Zukunft der Informationswissenschaft an der Potsdamer Hochschule drehte, und ein klare Aussage fiel, dass es in Potsdam keinen Beschluss gebe, den Studiengang abzuwickeln und im Zuge der Curriculumsdiskussion beschlossen wurde, sich wieder auf wissenschaftliche Bibliotheken zu konzentrieren, tat Willi Bredemeier seine Meinung kund, dass man den handelnden Menschen in den Mittelpunkt stellen müsse. Die anderen bisher angesprochen Themen halte er zwar für gute Forschungsprogramme, jedoch für zu kurzschlüssig für die Zukunft der Informationswissenschaft.

Stefan Gradmann jedoch stellte die Bibliotheken in den Mittelpunkt und stellte fest: „Wir kommen in eine Phase, in der sich eine Mauer schließt, bezüglich der Bibliotheken.  Bibliotheken können wieder Orte werden, an denen Wissen generiert wird, an denen mit Wissen umgegangen wird.“

Die wohl unterhaltsamste Aussage der 1 1/2 – stündigen Diskussion an diesem Tag kam aus dem Publikum: „Das Thema Information Retrieval ist nicht mehr so sexy!“. Darauf entgegnete Moderator Wolfgang G. Stock nur lässig: „Information Retrieval ist Google. Und Google ist sexy!“

Aus dem Publikum kam schließlich die Kritik, dass es z.B. für den Dokumentarberuf zu wenig Fortbildungsmöglichkeiten gebe, woraufhin Hans-Christoph Hobohm antwortete, dass es manchmal einfach an Stoff für Fortbildungen fehle. Man schwimme so, wie auch die Praxis schwimmt. Außerdem müsse mehr publiziert werden. Stefan Gradmann sah dies etwas anders und betonte ausdrücklich „Wir bieten gute Fortbildung!“, was er mit einer vorgelesenen E-Mail einer Teilnehmerin zusätzlich bekräftigte.

Hans-Christoph Hobohm sprach schließlich einen neuen Kritikpunkt an. „Wir reden seit Jahren über Informationskompetenz, aber es gibt keine Professur dafür!“ Daraufhin kam jedoch die Zwischenfrage aus dem Publikum, was denn Informationswissenschaft mit Informationswirtschaft und Bildung zu tun habe. Evrim Sen, ebenfalls aus dem Publikum, erklärte, dass z.B. ohne Informationswissenschaft auch keine Suchmaschinen entwickelt werden können.

Christian Schlögl stellte darauf hin fest, dass man zunächst erstmal klar unterscheiden müsse zwischen der informationswissenschaftlichen Etablierung und informationswissenschaftlichen Problemstellungen. Bei der informationswissenschaftlichen Etablierung ergebe sich das Problem, dass die Informationswissenschaft als Randfach gilt. Im Anschluss daran wurden sich die Diskutanten und auch die regen Publikumsteilnehmer einig, dass Interdisziplinarität wichtig ist. Man müsse viel mehr interdisziplinär aufnehmen und die Inhalte aus verschiedenen Bereichen erst einmal aufbereiten, so Hans-Christoph Hobohm.

Abschließend kam aus dem Publikum die Frage, welche informationswissenschaftlichen Disziplinen für die Diskutanten denn überhaupt Zukunft haben. Nach kurzer Zeit des Überlegens fielen u.a. die Disziplinen Informetrie, Methoden und Instrumente der inhaltlichen Erschließung und Informationsverhaltensforschung.

Zusammenfassend kann man sagen: es war eine wirklich sehr lebhafte Podiumsdiskussion, an der auch das Publikum aktiv teilgenommen hat. Wirklich einer der Höhepunkte der gesamten DGI-Konferenz!

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6 Gedanken zu „Podiumsdiskussion: Zukunft der Informationswissenschaft

  1. Vielen Dank an Duwaraka Murugadas für die ausführliche Zusammenfassung von einer anscheinend wirklich hochspannenden Session (auch für Möchte-Gern-Informationswissenschaftler!). Nur leider saß ich zu der Zeit in der Parallelsession. Aber ich setze auf die DGI, dass sie die Videoaufzeichnung in irgendeiner Form noch öffentlich macht?

  2. Sobald das Material gesichtet ist und die Beteiligten ihr OK gegeben haben ist eine Veröffentlichung der Podiumsdiskussion geplant. Danke für die vielen Berichte und Kommentare!

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  6. Die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion ist jetzt online im neuen DGI-Blog: http://blog.dgi-info.de/video-zur-podiumsdiskussion-zukunft-der-informationswissenschaft/

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