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ganz schön viel, das alles

Am vierten Tag habe ich aus Versehen den Respekt vor dem Filme-Sehen verloren. Während ich die Filme anfangs ruhig, geduldig und konzentriert in der angedachten Reihenfolge ansah, erwischte ich mich gestern Morgen dabei, wie ich die Website der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen mittlerweile eher wie Netflix behandelte: ich suchte mir irgendetwas aus, was interessant aussah, und wenn es sich nicht innerhalb von drei Minuten als interessant erwies, suchte ich mir ein anderes Video (aber bloß nichts zu langes).
Abends, wenn ein Haufen Filme für immer zu verschwinden droht, werde ich besonders hektisch und unentschlossen. Ich habe ein bisschen darüber nachgedacht, warum das wohl so ist, und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich wohl überfordert bin. 

Ich habe mittlerweile etliche Filme gesehen, und dabei, glaube ich, unterschätzt, dass man die auch irgendwie verarbeiten muss. Alle 15 Minuten eine neue Welt. Wir sind immersive Welten im digitalen Zeitalter gewohnt, und auch viele, und auch lange; aber innerhalb eines Abends von Eisflächen zu Hitzewellen zu wechseln und wieder zurück, Geschwister zu sehen die sich streiten, die sich gerne haben, die sich streiten und sich trotzdem gerne haben, Kinderprobleme, Jugendprobleme, Erwachsenenprobleme, die Liste könnte ewig weitergehen – das ist ein bisschen viel. Selbst die tiefgründigsten Off-Stimmen werden für mich beim 20. Film des Abends zum Hintergrundrauschen.
Bei einem „echten“ Festival würde man ständig im Austausch über die Filme stehen, und wenn man bei einem Film ein besonderes Bedürfnis nach Austausch hätte, dann würde man dem nachgehen. Hier in meinem Zimmer staut sich vieles an. Ich kann meine Träume der letzten Nächte in Elemente der Kurzfilme aufdröseln, die ich gesehen habe: ich zelte, ich fahre Auto ohne Führerschein, ich springe aus einem Boot.
Deswegen habe ich mich gestern Morgen dazu entschieden, eine Pause einzulegen, um dem Festival heute wieder mit „frischen Augen“ begegnen zu können. Die Festival-Website, die ich gerade geöffnet habe, lässt mein Herz jetzt wieder schneller schlagen, anstatt mich zu entmutigen. Ich möchte mir heute Zeit nehmen, und Ruhe, wie sich das an so Sonntagen gehört.
Hat jemand Filmempfehlungen?

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Jugendfilme im Kompromisskino

Während ich mein Zimmer abdunkle und meinen Laptop hochfahre, denke ich an die unzähligen Stimmen, die in den letzten Jahren immer wieder betont haben, wie wichtig die Kinoerfahrung für das Filmerlebnis ist. Ich fühle mich manchmal ertappt von imaginären Kinoliebhabern, die den Kopf schütteln, wenn ich am helllichten Tag in der Bahn stehe und auf meinem Handy durch das kaputte Display Netflix-Serien gucke.
Aber das hier ist sowieso etwas anderes: ich habe 9,99€ ausgegeben und mich auf ein Festival gefreut, also bastel ich mir jetzt auch eins. Ich habe mir vorhin bei ALDI eine Cola gekauft, um die Gesamtsituation ein bisschen feierlicher zu gestalten. Mein Zimmer ist dunkel, mein Getränk kalt, ich lege mein Handy weg, und widme den Filmen meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Anfangs ist das gar nicht so einfach, denn der Bildschirm meines Laptops ist ziemlich klein, ich höre meinen Mitbewohner nebenan telefonieren und es ist ja auch niemand hier, der von mir erwartet, dass ich aus der Situation eine Feierlichkeit mache, überhaupt: es ist niemand hier. Mir wird schlagartig die Masse an Gesprächen bewusst, die es nie geben wird. Ich liebe es, mich in den wenigen Sekunden zwischen den Filmen zu der Person im Sitz neben mir zu drehen und mit meinen Augenbrauen „und?“ zu fragen, um sich kurz mimisch darüber austauschen zu können, wie man die letzten paar Minuten erlebt hat. Ich liebe die Gesprächsfetzen, die man in den Pausen aufschnappt, wenn sich Leute mit ihrer Begleitung darüber unterhalten, was sie wann wie warum während welchem Film gedacht und gefühlt haben. 

Ich logge mich ein und wähle die Kategorie „Youth Film Competition 12+“ aus. Mir werden sechs Filme angezeigt.
„Elf“ finde ich sehr schön, die Bilder, die Farben. Inhaltlich habe ich das Gefühl, schon sehr ähnliche Kurzfilme gesehen zu haben. Bei „Talvinen Järvi“ merke ich, dass ich das Programmheft in der Hand vermisse, in dem ich jetzt nachgeguckt hätte, aus welchem Land der Film ist, denn ich erkenne die Sprache nicht. Es ist finnisch, und der Film ist magisch. Ich mochte, wie er Naturwunder und Snapchat Streaks ganz natürlich zusammenführt. Es gibt verschiedenste Zeitlupen-, Zeitraffer-, Drohnen- und Unterwasseraufnahmen, die eine Welt zeigen, die mir ziemlich fremd ist.
„Our Largest“ ist kurz und toll und verwirrend, und ich bin mir sicher, dass es da eine Menge zu verstehen gibt, das an mir vorbeigegangen ist.
Bei „Grietas“ gefällt mir der Abspann besonders, aber „Esperança“ ist mein Favorit. Es handelt sich um die Geschichte des gleichnamigen Mädchens, das mit ihrer Mutter aus Angola nach Frankreich geflüchtet ist. Esperança erzählt von dieser Erfahrung, visuell untermauert von einer Animation, die aus sehr simplen Zeichnungen in wenigen Farben besteht, überwiegend schwarz; wie umangespitzter Buntstift auf Papier. Die Animation schafft es, Gegenstände, Orte und Menschen mit den Gefühlen der Erzählerin zu vermischen. Da ist ein Treppenhaus in der Schule (03:35), und als die Stimme erzählt, wie verloren sie sich dort gefühlt hat, klappen sich die Fenster zur Seite weg, die Treppe verformt sich wie ein Papierfächer, und bildet letztendlich eine Wand von Klokabinen, in denen sich Esperança versteckte. Ich könnte mir das stundenlang ansehen.

Der letzte Film der Kategorie, „Jamila“, war mit Abstand am Spannendsten und Emotionalsten.
Meine Empfehlungen aus der Kategorie sind definitiv die letzten beiden Filme, „Esperança“ und „Jamila.“ Mir fällt auf, dass die Hälfte der sechs Filme den Namen ihrer jeweiligen Protagonistin tragen.

Es fällt mir schwer, die Filme aus den Augen einer Zwölf- oder auch nur Sechszehnjährigen zu sehen, aber mir haben alle gefallen und ich halte den Grad an Intensität, an Politischem, an Ernst und Spiel für gelungen, genau so wie die Längen.
Hat sich jemand von euch Filme der Kategorie angesehen? Was denkt ihr dazu? Und was habt ihr außerhalb davon für Empfehlungen?
Nach dieser ersten Kategorie kann ich sagen, dass das Onlinefestival sich für mich überraschenderweise – und ich weiß gar nicht warum – immer noch ganz schön nach Festival anfühlt. Trotzdem freue ich mich darauf, morgen an einem „Treffen“ teilnehmen zu können. Ich habe das Bedürfnis, über das Festival zu reden, oder jemanden darüber reden zu hören, denn das ist das einzig wirklich komische: dass die sonst so kollektive Erfahrung jetzt darauf beschränkt ist, dass ich Leuten in der Küche im Schlafanzug von Filmen erzähle, die sie weder gesehen haben noch jemals sehen werden.