Veruntreute Geschichte von Milan Dubrovic

Ein drittes Buch sollte man neben der Tante Jolesch und den Erben der Tante Jolesch lesen, weil es dort um dieselbe Zeit, dieselben Orte und dieselben Menschen geht, und man zwischen den Seiten 160 und 161 einige aussagekräftige Photographien findet, die den Geschichten Gesichter verleihen. Auf der zweiten Bildseite sieht man auf dem oberen Bild Friedrich Torberg und Milan Dubrovic zusammen im Kaffeehaus, dem Café Herrenhof. Milan Dubrovics Veruntreute Geschichte. Die Wiener Salons und Literatencafés. Mit 22 Abbildungen, erschienen 1985 im Fischer Taschenbuch Verlag. Ich zitiere die Geschichte (Seite 45-49) über

Poldi Weiss alias Muhammad Asad

„Als signifikantes Bespiel für die Verworrenheit dieser schwer zu bewältigenden Jahre kann der erregende Lebenslauf eines nur um wenige Jahre älteren Herrenhof-Kumpanen gelten, dessen extravagante und abenteuerliche Entwicklung den Wahn und die dämonische Besessenheit dieser Epoche widerspiegelt. Von Lemberg über Wien und Berlin führte sein Weg durch das „unromantische Morgenland“ nach Mekka, in die faszinierende Welt des gärenden Islam, dem er schließlich völlig verfiel.

Eines Tages tauchte am Stammtisch von Anton Kuh ein junger Mann auf, der von den hitzig geführten Gesprächen der Runde angelockt worden war. Hochgewachsen, dunkelhaarig, ein edles Gesicht, aus dem auffallend große schwarze Augen mit klugem Späherblick die Welt sondierten und zugleich um Sympathie warben. Ein gradliniger, offener, ausgesprochen angenehmer Mensch. Ein wenig boshaft, wie alles, was sie von sich gab, meinte Nina Kuh: „Er wirft seinen Charme mit dem Lasso und fängt jeden damit ein.“

Er hieß Leopold Weiss, wurde stets Poldi gerufen, war von seinen kunsthistorischen Studien an der Wiener Universität trotz der vorzüglichen Lehrer Strzygowski und Dvorak enttäuscht, schnupperte erfolglos in einigen anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen herum, um schließlich um Café Herrenhof zu landen.

Er entstammte väterlicherseits einer österrreichisch-polnischen, in Lemberg ansässigen jüdischen Familie mit zweihundertjähiger rabbinischer Tradition. Die Mutter kam aus einer reichen jüdischen Bankiersfamilie. Schon seine Eltern hielten sich vom strengen Ritual der mosaischen Religion fern und fühlten sich nur noch durch einen formalen Traditionalismus mit ihr verbunden.

Der Sohn begann den Gott den Alten Testaments bewußt anzuzweifeln. Er warf ihm vor, dass er sich nur um die Geschichte eines einzigen Volkes, nämlich dessen der Hebräer, kümmere und den Rest der Menschheit mißachte. Dies schien schon dem heranwachsenden Jüngling ethisch angreifbar. Wie er selbst einbekannte, schlitterte er unter dem Einfluß einer agnostischen Umgebung wie so viele junge Menschen seiner Generation in die Ablehnung aller tradierten Religionsvorstellungen und flüchteten ins Abenteuer.

Mit vierzehn Jahren lief er in Wien, wohin seine Eltern vor dem Krieg geflüchtet waren, von der Schule weg und meldete sich in der Steiermark unter einem falschen Namen freiwillig zur österreichischen Armee. Da er sehr groß war, gelang es ihm, sich für achtzehn auszugeben. Nur mit Mühe vermochte die Polizei ihn ausfindig zu machen und ins Elternhaus zurückzubringen.

Mit dieser Episode kündigten sich die phantastisch-abenteuerlichen Schicksalverknotungen an, die das spätere Leben des Poldi Weiss kennzeichneten. Er hat sie in seinem autobiographischen Buch „Der Weg nach Mekka“ (S. Fischer Verlag, 1955) dargelegt, das mir für manche Details als Quelle dient. […]

Zum entscheidenden Wendepunkt seines Lebens wurde eine Einladung in den Vorderen Orient und die Begegnung mit dem Islam. Immer intensiver setzte er sich mit dieser ihm völlig fremden Welt auseinander und glaubte alsbald, in ihr die religiöse Erlösung, die Befreiung von dem strengen Gott der Juden und dessen erbarmungslosen Geboten gefunden zu haben. Er schrieb eine große Anzahl fesselnder Reiseberichte an die „Frankfurter Zeitung“, die sie unter dem Titel „Unromantisches Morgenland“ als Buch herausgeben ließ und dem Autor damit zu seinem ersten großen Erfolg verhalf.

Als namhafter Journalist gelangte er an den Hof des Königs Ibn Saud. Nach schweren seelischen und geistigen Krisen trat er zum Islam über, den er als weltoffene, brüderliche Geisteswelt und als Befreiung von seinen inneren Schwierigkeiten empfand.

Er löste alle seelischen und geistigen Bindungen an das Judentum und an die abendländische Zivilisation, die er als dekadent  und untergangsreif verurteilte, und ging ganz in dem neuen Glauben auf. Mit den Beduinen zog er durch die lybische Wüste, erlitt mit ihnen Not und Entbehrungen, geriet in den kriegerischen Aufstand der Iraker, wurde in arabische Stammesfehden hineingezogen und stellte damit seine uneingeschränkte Zugehörigkeit zur arabischen Welt tatkräftig unter Beweis. König Ibn Saud nahm ihn als Freund und Berater in seinen engsten Mitarbeiterstab auf, und er wurde zum Vertrauten des geistlichen Oberhauptes des strenggläubigen mohammedanischen Ordens der Senussi.

Sein Ruf in der arabischen Welt öffnete ihm alle Grenzen zwischen den einzelnen Staaten des Nahen Ostens, seine Aktivitäten beschränkten sich nicht auf Saudi-Arabien, sondern erstreckten sich auch auf Jordanien, Iran und Irak, bis er schließlich von der Regierung des neugegründeten Staates Pakistan mit wichtigen politischen Aufgaben betraut wurde.

Sehr spät erst habe ich all dies über den einstigen Kumpanen aus dem Café Herrenhof erfahren. Als ich im Jahre 1953 eine Studienreise in die Vereinigten Staaten unternahm und als Gast des österreichischen Botschafters Dr. Matsch im UNO-Restaurant saß, machte dieser mich auf einen Herrn am Nachbartisch aufmerksam. Diskret flüsterte er mir ins Ohr: „Dort sitzt der neue pakistanische Gesandte bei der UNO. Er heißt Muhammad Asad, trägt die zünftige Arabertracht mit dem verschnürten Kopftuch, aber es geht das Gerücht um, er sei gar kein Araber sondern ein galizischer Jude aus Wien.“

Ich blicke hinüber und glaubte meinen Augen nicht zu trauen: Vor mir saß Poldi Weiss aus Wien …“

… und die Geschichte schließt mit dem Bedauern des Autors, nicht den Mut aufgebracht oder die Zurückhaltung überwunden zu haben, sich an den Tisch von Poldi Weiss zu setzen.

 

 

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