Lob der Selbstironie

Im Babylonischen Talmud, Traktat Moed Katan 28a, findet sich folgende Geschichte darüber, dass das Leben ungerecht sein kann:

Raba sagte: Leben, Kinder und Nahrung (die tägliche materielle Versorgung) hängen nicht vom Verdienst ab (von den ideellen Leistungen, die jemand erbracht hat), sondern vom Glück.

Rabba und Rabbi Chisda waren beide fromme Gelehrte.
Wenn der eine um Regen bat, kam er, und wenn der andere um Regen bat, kam er.
Dennoch lebte Rabbi Chisda 92 Jahre, während Rabba nur 40 Jahre lebte.

Bei Rabbi Chisda wurden 60 Hochzeiten gefeiert, während bei Rabba 60 Todesfälle waren.
Bei Rabbi Chisda erhielten die Hunde Weißbrot – und auch das wollten sie nicht,
während bei Rabba die Menschen Graubrot aßen – und auch das hatten sie nicht.

Raba sagte: Um drei Dinge bat ich den Himmel; zwei gewährte man mir und eines nicht: Die Weisheit Rabbi Honas und den Reichtum Rabbi Chisdas gewährte man mir. Die Bescheidenheit Rabbas gewährte man mir nicht.

Zwei Menschen, die sich mit Leib und Seele ihrem Beruf widmen, erleben das Leben von unterschiedlichen Seiten. Dem einen geht es gut, dem anderen geht es schlecht. Beide sind nicht dafür verantwortlich, dass dem so ist. Der eine hat Glück, der andere hat Pech. Jedoch ist die Art und Weise, wie jemand mit dieser schwer verdaulichen Einsicht umgeht, bezeichnend. Der eine wird bescheiden, der andere wird es nicht. Rabas  mit einer gewissen Selbstironie geäußerten Feststellung spielt aber darauf an, dass vor dem Hintergrund des Schicksalhaften des Lebens es noch nicht einmal darum geht, tugendhaft zu werden (hier die Tugend der Bescheidenheit zu erlernen). Es geht letztlich darum das, was das Leben „zufällig“ zu bieten hat, mit Humor zu nehmen oder mit Humor zu ertragen. Daher rührt Rabas Humor, seine Selbstironie („Bescheidenheit gewährte man mir nicht“), die Kunst, über sich selbst lachen zu können.

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