Klug, schön und selbstbewußt …

Im babylonischen Talmud, Traktat Baba metzia 84a,  findet sich folgende Geschichte über einige Rabbinen, deren Haupteigenschaft nicht gerade durch Zurückhaltung gekennzeichnet ist. Sie zeichnet ein Bild, das so gar nicht zu dem staubtrockenen, sich vernachlässigenden, in Büchern vertieften Gelehrten passt…

Rabbi Jochanan sagte. Ich bin von den Schönen Jerusalems übrig geblieben.

Wer die Schönheit Rabbi Jochanans sehen will, nehme einen silbernen Becher, wie er vom Juwelier kommt, fülle ihn mit Körnern von einem roten Granatapfel, lege um die Mündung einen Kranz von roten Rosen und stelle ihn zwischen Sonne und Schatten; dieser Glanz ist ein wenig von der Schönheit Rabbi Jochanans.

Dem ist ja aber nicht so, der Meister sagte ja, die Schönheit Rabbi Kahanas sei ein wenig von der Schönheit Rabbi Abahus, die Schönheit Rabbi Abbahus sei ein wenig von der Schönheit unseres Vaters Jakob, und die Schönheit unseres Vaters Jakob sei ein wenig von der Schönheit Adams, des ersten Menschen.

Rabbi Jochanan aber wird nicht mitgenannt?

Bei Rabbi Jochanan verhielt es sich anders, ihm fehlte der Schmuck des Gesichtes.

[Nun folgt die Geschichte über Rabbi Jochanans Schönheit.]

Rabbi Jochanan pflegte an den Toren der Reinigungsbäder zu sitzen, indem er sagte: „Mögen die Töchter Israels, wenn sie das Pflichtbad [zur monatlichen Reinigung] verlassen, mir begegnen, damit sie Kinder haben, die gleich mir schön und gleich mir in der Tora kundig sind.“

Die Jünger sprachen zu ihm: „Fürchtet sich der Meister denn nicht vor dem bösen Auge (= der böse Blick, aus Neid losgeschickt, kann Unglück bringen)“?

Er erwiderte ihnen: „Ich entstamme aus den Nachkommen Josephs, über den das böse Auge keine Gewalt hatte, denn es heißt: Ein fruchttragender Zweig ist Joseph, ein fruchttragender Zweig an der Quelle (ale ajin) (Gen 49,22), und Rabbi Abahu sagte, man lese nicht „ale ajin“ sonde „ole ajin“ = das Auge übersteigend. […]

Eines Tages badete Rabbi Jochanan im Jordan. Da bemerkte ihn Resch Laqisch (der ein vagabundierender Räuber war) und sprang ihm in den Jordan nach. Da sagte [Rabbi Jochanan]: „Deine Kraft für die Gesetzeskunde“. [Resch Laqisch] erwiderte: „Deine Schönheit für die Frauen.“ [Rabbi Jochanan] erwiderte: „Wenn du [von deinem schlechten Lebenswandel] umkehrst, gebe ich dir meine Schwester zur Frau, die noch schöner ist als ich.“ Da nahm er das Angebot an. Als er dann zurück wollte, um seine Kleider zu holen, vermochte er es nicht mehr.

[Rabbi Jochanan] nun unterrichtete ihn in der Bibel und in der Mischna und machte aus ihm einen bedeutenden Mann. Eines Tages aber stritten sie im Lehrhaus [über folgende Sache]: Ein Schwert, ein Messer, ein Dolch, eine Lanze, eine Handsichel und eine Erntesichel können unrein werden, sobald sie vollständig fertig sind. Wann sind sie vollständig fertig? Rabbi Jochanan sagte: Sobald man sie im Ofen gebrannt hat, und Resch Laqisch sagte: Sobald man sie im Wasser gehärtet hat. Da sagte [Rabbi Jochanan]: „Ein Räuber kennt sein Räuberhandwerk.“ Daraufhin sagte [Resch Laqisch]: „Was nützt du mir? Dort nannte man mich Meister, hier nennt man mich ebenfalls Meister.“ Jener erwiderte: „Ich habe dir genützt, indem ich dich unter die Fittiche Gottes gebracht habe.“

Rabbi Jochanan wurde aber danach schwach und Resch Laqisch wurde danach krank. Da kam seine Schwester (die Frau von Resch Laqisch) zu ihm, weinte und sprach: „Tu es meiner Kinder wegen!“ (= Versöhne dich mit ihm.) [Rabbi Jochanan] aber zitierte nur Jer 49,11: Lass nur deine Waisen, ich will sie ernähren. [Seine Schwester sagte:] „Tu es, damit ich nicht Witwe werde!“ Er aber antwortete: Und deine Witwen mögen auf mich vertrauen. (Jer 49,11) Hierauf starb Rabbi Schimon ben Laqisch, und Rabbi Jochanan grämte sich sehr [und ersehnte] ihn zurück.

Da sprachen die Jünger: „Wer will zu ihm gehen, um ihn zu beruhigen? Mag Rabbi Eleazar ben Pedath gehen, dessen Lehren sehr scharfsinnig sind.“ Daraufhin ging er zu ihm hin und setzte sich vor ihm nieder, und bei jeder Sache, die Rabbi Jochanan vortrug, sprach er zu ihm: „Es gibt eine Lehre als Stütze für dich.“ Da sagte [Rabbi Jochanan]: „Du willst ben Laqisch gleichen?! Wenn ich etwas vortrug, gab er mir 24 Antworten und ich verdoppelte gegen ihn noch einmal  24 Mal , und so wurde dadurch die Lehre erweitert. Du aber sagst immerzu, es gebe eine Lehre als Stütze für mich. Weiß ich denn nicht selber, dass ich recht habe?!“ Daraufhin ging der fort, zerriss seine Gewänder, weinte und schrie: „Wo bist du, ben Laqisch, wo bist du …?!“ Er schrie so lange, bis er seinen Verstand verlor. Da flehten die Jünger um Erbarmen, und er starb.

 

 

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