Wortspiele in der Geschichte von Noah

Ein lateinisches Sprichtwort lautet „nomen est omen„. Es bedeutet, dass die Bezeichnung einer Sache oder der Name einer Person etwas über Sache oder Person aussagt. Im Hebräischen ist dieser Gedanke ganz ausgeprägt dadurch zum Ausdruck gebracht, dass das Wort „davar“ sowohl „Wort“ als auch „Sache“ bedeuten kann. Mit einem Wort ist also die Sache direkt verbunden. Über die Erklärung eines Wortes kann man daher etwas über die Sache erfahren, die das Wort bezeichnet. Wie das funktioniert, möchte ich an einem Beispiel zeigen, einigen Formulierungen aus der Geschichte über Noah.

Die Geschichte von Noahs Errettung von der Sintflut weist einige sprachliche Besonderheiten auf, die den Schluss nahelegen, dass die hebräische Sprache in der Erzählung von der Sintflut als dramaturgisches Mittel eine Rolle spielt. Dies ist in besonderer Weise in Genesis 5,29 präsent, wo Lemech, der Vater Noahs erklärt, warum er seinen Sohn „Noah“ genannt hat.
In Genesis 5,29 heißt es: „Er nannte seinen Namen Noach“ und Lemech erklärt die Wahl des Namens wie folgt: Dieser wird uns Trost (jenachamenu) schaffen von unserem Tun und von unserer Mühsal (me-itzwon) unserer Hände aus der Erde, die JHWH verflucht hat.
Schon die Rabbinen wiesen darauf hin, dass diese Erklärung Lemechs sprachlich nicht korrekt ist, und auch Raschi (einer der bedeutendsten jüdischen Kommentatoren, lebte 1040-1105) benennt diese Problematik, wenn er zu Genesis (Gn) 5,29 erklärt:

„DIESER WIRD UNS TRÖSTEN. Er wird den Schmerz unserer Hände von uns weichen lassen. Bevor Noach kam, hatte man keine Geräte zum Pflügen. Er aber machte sie für sie. Die Erde brachte nämlich Dornen und Disteln hervorgebracht, wenn man Weizen säte. Und dies seit der Verfluchung des ersten Menschen. Aber in den Tagen Noachs hörte dies auf. Das bedeutet: er wird uns trösten, Ruhe bringen. Wenn du [den Namen] aber nicht so erklärst, lässt sich die Begündung im Satz [des Verses] nicht mit dem Namen (Noach) vereinen, und du müsstest ihn „Menachem“ nennen.“

Die Erklärung, die Lemech zum Namen seines Sohnes Noah gibt, wird zum Dreh- und Angelpunkt für mehrere Sprachspiele mit im Hebräischen gleichklingenden Wörtern, die den folgenden Bibeltext durchziehen. „Noah“, das korrekterweise auf das Verb (nuach), „ruhen“ zurückzuführen wäre, bringt Lemech mit dem Wort „nacham“ in Zusammenhang, das „jemanden trösten“ bedeuten kann. In diesem Sinne gebraucht Lemech auch das Wort, wenn er sagt „se jenachamenu“. Buber/Rosenzweig übersetzen „dieser wird uns leidtrösten.“ Offensichtlich haben Buber/Rosenzweig bei der Wortschöpfung „leidtrösten“ das Auftauchen des Verbes in Gn 6,6 „es leid sein“ berücksichtigt. In Gn 6,6 geht es um die göttlich Haltung der Menschheit gegenüber: Da war es JHWH leid (wajinachem), dass er den Menschen auf Erden gemacht hatte und er grämte sich in seinem Herzen.

Ähnlich verlinkt ist die Formulierung in Gn 5,29: „von unserer Mühsal (me-itzwon) unserer Hände“. Das Nomen „itzawon“ geht auf ein Verb zurück, das „bilden“, „schaffen“ bedeuten kann. Es kann aber auch die Bedeutung „sich betrinken“, „kränken“ und (im Hifil) „zum Zorne reizen“ annehmen. Das aus denselben Buchstaben gebildete Nomen „etzew“ hat ebenfalls mehrere Bedeutungsebenen: Es kann „Krankheit“ meinen, „anstrengende Arbeit“ und im übertragenen Sinn den „Schmerz der Gebärenden.“
In Gn 6,6 finden sich nun die beiden mehrdeutigen Verben wieder, diesmal aber in Bezug auf Gott verwendet: Da war es JHWH leid, (wajinachem), dass er den Menschen auf Erden gemacht hatte, und er grämte sich in seinem Herzen (wajitatzew el libo).
Sprachlich stehen wir hier vor einer Kluft zwischen Gott und Mensch. Beide verwenden dieselben Verben, aber die Bedeutung wechselt: Lemech will durch seinen Sohn (jenachamenu) Trost für sich und alle Menschen, aber Gott ist die Menschen leid (wajinnachem), die er erschaffen hat.
Nun geht der Bibeltext nicht so weit, Lemechs sprachlich falsche Ableitung des Namens „Noah“ als Ursache für Gottes Zorn auf die Menschen zu sehen. Warum es Gott leid ist, den Menschen erschaffen zu haben, erläutert Gn 6,1-4. Dort findet sich die Erzählung über die „Söhne Gottes“ und die „Töchter des Menschen“ (adam) auf Erden. Die Töchter gefielen den „bne ha-elohim“, sodass etliche von ihnen sich diese zu Frauen nahmen.
Umstritten ist, wer diese „Söhne Gottes“ waren, ob (himmlische) Engel oder berühmte (irdische) Männer. Die Verbindung zwischen den „bne ha-elohim“ und den „Töchtern des Menschen“ ist jedoch derart, dass Gott sich zunächst entschließt (Gn 6,3), die Lebenszeit des Menschen auf 120 Jahre zu beschränken:
Da sprach JHWH: Mein Geist soll nicht für immer in dem Menschen walten – durch ihr [unwissentliches] Vergehen ist er Fleisch und seine [Lebens]Tage seien 120 Jahre.
Auch dieser Satz Gottes birgt im Hebräischen sprachliche Besonderheiten. Die Formulierung „lo jadon“ ist ein Hapax legomenon, also nur an dieser Stelle in der Bibel belegt. Raschi merkt dazu an, dass es viele Auslegungen der Rabbinen gebe, die diesen Ausdruck versuchten aufzuschlüsseln. Daraus wiederum lässt sich schließen, dass die Formulierung von den Rabbinen bereits nicht mehr verstanden wurde. Problematisch ist auch die Formulierung „beschaggam hu basar“. „Beschagam“ leitet Gesenius (S. 807) von „schagag“ ab, was bedeutet: „unwissentlich eine Sünde begehen“. Luther, Tur Sinai, Buber/Rosenzweig u.a. lesen – wie es auch Raschi vorschlägt – nicht „beschagam“ sondern mit Segol „beschegam“: „denn auch er ist [nur] Fleisch“. Raschi erklärt dies: „Weil auch noch das an ihm ist, dass er nur Fleisch ist und sich dennoch nicht vor mir (= Gott) demütigt; wie erst, wenn er aus Feuer oder aus einem anderen starken Stoff bestünde“. Raschi benutzt damit eine hermeneutische Regel, um die Textveränderung zu erklären. Es ist die Regel des Schlusses vom Leichteren auf das Schwerere, die auch umgekehrt funktioniert: Wenn also der normale Mensch schon gegen Gott rebelliert, um wieviel mehr wird er es tun, wenn er aus dem Element bestünde, aus dem auch die Engel bestehen: aus dem Element Feuer.
Zunz dagegen hält sich an die masoretische Punktation und übersetzt: „In ihrem Wahn werden sie Fleisch“.
Die verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten zeigen, dass der Grund für Gottes Zorn über den Menschen sprachlich verschlüsselt bzw. verschlossen ist. Man kann nur darüber spekulieren, warum die Strafe über den Menschen verhängt wurde, die in dem verhängnisvollen Satz von Gn 6,6 gipfelt, dass es Gott leid ist, den Menschen erschaffen zu haben und in Gn 6,7 das Urteil Gottes feststeht: „Ich will den Menschen vertilgen, den ich erschaffen habe.“ Die Art und Weise, wie Gott den Menschen aus seiner Schöpfung tilgen will, ist mit dem Verb „machah“ vorgegeben, das auch „wegwischen“ bedeuten kann, was ja bekanntlich mit Wasser geschieht, ein Hinweis auf die Strafe der Sintflut.

Sprachliche Besonderheiten durchziehen auch den Vers Gn 6,4, der einen Hinweis auf den Grund für den göttlichen Zorn gibt. Dort heißt es:
Die „nephilim“ waren in jenen Tagen auf der Erde – und auch danach: Als die Göttersöhne zu den Töchtern des Menschen zu kommen pflegten, da gebaren sie ihnen jeweils jene Helden, die von alters her Männer von Namen sind.
Die „nephilim“, die in der Bibel nur hier und in Numeri 13,33 erwähnt sind, übersetzt die Septuaginta, die griechische Bibel, mit „Riesen“. Interessant ist aber das Wortspiel im Hebräischen: das Verb „naphal“, das im Wort „nephilim“ mitgehört werden kann, bedeutet „fallen“, „stürzen“, „straucheln“. Berücksichtigt man diese Wortbedeutung, sind die Riesen diejenigen, die gestrauchelt sind. Entspechend erklärt Raschi: „Weil sie fielen und die Welt zu Fall brachten“.

Nicht eindeutig ist auch die letzte Formulierung, die mit „Männer von Namen“ wiedergegeben wurde. Auch wenn auszuschließen ist, dass bereits hier mit „ha-Schem“ eine Umscheibung für „Gott“ gemeint sein könnte, wie es später im rabbinischen Sprachgebrauch der Fall ist, bleibt zu fragen, ob die Formulierung eine positive Aussage beinhaltet, wie es etwa Luther verstand, als er sie mit „hochberühmt“ übersetzte. Noch Raschi erklärte die Formulierung: „Die Männer von Namen, jene, die mit dem Namen Jarad, Mechujael (Gn 4,18), Metuschael bezeichnet wurden, d.h. die ihrem Untergang entsprechend bezeichnet wurden, die aufgelöst und kraftlos wurden; eine andere Erklärung: Männer der Verwüstung, die die Welt verwüsteten.“ Da Raschi die „nephilim“ bereits negativ interpretierte, ist es für ihn nur konsequent, wenn er auch die „Männer von Namen“, wie die Riesen auch bezeichnet werden, negativ sieht.
Auch das hebräische Wort für „Helden“, „gibborim“, spielt eine Rolle in diesem Zusammenhang. „Helden“ sind zumeist positive Figuren, zu denen man hochschaut. Das Verb „gabar“, „stark sein“, „siegen“, „heldisch sein“, auf das das Nomen zurückgeführt werden kann, deutet dies an.
Eine letzte sprachliche Besonderheit knüpft sich an die Wortkombination von „gabar“ und „rabba“ an, die sich sowohl in dem Anschlussvers Genesis 6,5, als auch in Genesis 7,18 findet, das die Urteilsvollstreckung über die Menschen, die Gott leid ist, schildert. Es ist das Steigen der Sintflut. Über die steigenden Wasser der Flut heißt es dort: „Da wurden die Wasser mächtig (wajigberu) und sehr viel (wajirbu) auf Erden.“ In Genesis 7,19.20 und 24, also noch dreimal, findet sich diese Formulierung wieder. Diese Wortverflechtung führt zu der folgenden Assaoziation: Die Macht der Helden vergeht vor der Macht Gottes, der sich eines leichten Elements, des Wassers, zu ihrer Vernichtung bedient. Ähnlich benutzt auch Hanna am Ende ihres Liedes in 1. Samuel 2,9 das Verb „gabar“: (ki lo be-koach jigbar isch): Denn nicht durch Macht wird ein Mann zum Held.

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