Unsanfter Wechsel zwischen zwei Welten:
Von Reisen-mit-Freunden zum Allein-Reisen, vom Hostel-Übernachten zum Couchsurfen, von der Hauptstadt ans Mittelmeer.
Im Schnellzug von Madrid in weniger als 2 Stunden nach Valencia – wow.
Mein Couchsurfer José, 27 Jahre, aus Panamá, hat ungefähr alle meine bisherigen Couchsurfer-Erfahrungen überboten. Und dabei so getan, als wäre das völlig normal.
Gerade hatte ich mit Mühen seine Wohnung gefunden, meinen Rucksack abgestellt, gecheckt, dass ich die Stadt gerade gewechselt habt, schon kam ein „Was willst du heute Abend machen?“ und auf ein „öööööh, weiß nicht“ folgte Josés Abendplanung: ein Riesenfeuerwerk zur (Vor?)Eröffnung der Falla-Feste von Valencia, ein herzzerspringendes Jazz-Café-Konzert inkl. Treffen mit anderen Couchsurfern, ein Snack auf dem Platz der Kathedrale von Valencia.
Auf dem Heimweg in Josés Wohnung konnte ich mir schwerlich vorstellen, am selben Tag noch in Madrid aufgewacht zu sein, wo ich noch einen vollen Tag mit Sam, Anna und Simon hatte. Der Abend war eigentlich nur noch zum Ankommen in Valencia gedacht gewesen – und dann kam José. Zuhause bei ihm habe ich in der riesigsten Daunenfederbettdecke geschlafen, die ich je gesehen habe (es hätte eine Kleinfamilie darunter Platz gehabt!) und konnte nicht eine Sekunde nur darüber nachdenken, aus Höflichkeit anzubieten, in meinem Schlafsack zu schlafen.
Am nächsten Tag, nach dem Ausschlafen hat mir José ein Mittagessen gekocht (ich dufte die gesamte Zeit nicht abspülen, weil ich Gast war!) danach hat er wieder nach meinen Tagesplänen gefragt und mir Hafen und Strand von Valencia gezeigt, dann die beste Tee-Stube von Valencia (und einen Applaus aller Café-Besucher geerntet, nachdem er mit einem beeindruckenden Hechtsprung die antike Stehlampe gerettet hat, die ich runtergeworfen habe) und mir aus seinem Leben erzählt, wozu er zu jeder Geschichte den exakten Wochentag beisteuern konnte („und dann haben mein Mitbewohner und ich uns gestritten, und Freitags, um 16.00 Uhr ist er ausgezogen.“)
Schon nach 1,2 Tagen hatte ich das Gefühl, schon eine Woche in Valencia zu sein – und der Höhepunkt sollte noch kommen. Nach einem aufwendigen Frühstück à la José sind wir mit Fahrrädern durch das ehemalige Flussbett geradelt – oooh, wie gerne ich Fahrrad fahre… – waren im „Erasmus-Viertel“ was essen, wurden von Josés Freunden auf Churros und Chocolate eingeladen und ich habe eine exklusive Stadtführung von einem Eingeborenen bekommen, einem valenzianischer Freund von José (José selbst lebt erst seit 1, 5 Jahren dort und will auch nach seinem Film-Studium wieder nach Panamá zurückkehren).
Mann, so habe ich mir das sogenannte „alleine“ reisen nicht vorgestellt. Couchsurfen bei José ist ein 24h-Service, inkl. seines Lieblingssatz „las niñas mandan“ – die Mädchen suchen aus. (ich war dann meistens wohl die einzige „niña“ – ich kenne übrigens niemanden außer José, der nicht das Wort „chica“ für „Mädchen“ benutzt.)
José ist eine wahre Figur. Im Alltag ein echter Einzelgänger, der schokoladensüchtig ist (Nutella-Glas bei der Radtour im Gepäck!!), stets ein kleines Notizbuch bei sich trägt, in das er ab und zu Pfeile (oder so) einträgt, herzerweichend Gitarre spielt (aber vorspielen ist ihm peinlich), darauf besteht ein Gentleman zu sein („Lass mich gefälligst deine Einkaufstasche tragen!“), im Café plötzlich zum Telefonieren rausgeht und nach 20min mit Paella-Plastik-Schälchen wiederkommt („unser Abendessen! Mir ist grad eingefallen, dass Happy Hour ist!“) und eine Art hat, „niña“ so zu betonen, dass es nicht klingt wie „Kind; weiblich“, sondern wie „Merle; nett“.
Und die Tatsache, dass seine Brille immer auf halb 8 hängt, macht ihn entgültig zu einer liebevollen Zeichentrickfigur, die kaum Realität sein kann.
Nein, ich bin nicht verliebt, nur baff, dass es solche unglaublichen Menschen gibt und ich das Glück habe, mit einem von ihnen zwei-einhalb Tage geteilt zu haben (ich muss immer nachzählen, es kommt mir wirklich vor, als hätten wir eine Woche zusammen verbracht).
Nach diesen zwei Tagen habe ich ganz Valencia aus Josés Sicht kennengelernt und keine Museen und Kathedralen vermisst – Couchsurfing is so amazing.
Weil José nach Portugal geflogen ist, habe ich noch eine Nacht in einem (wunderschönen) Hostel in Valencia verbracht, war noch mal als echter Tourist in der Stadt, habe den Sonnenuntergang vom Turm der Katedrale genossen und habe die unglaublichen Fallas-Begrüßungsknallerattacken miterlebt. Fallas sind die großen Frühlingsfeiereien in Valencia. Um 14.00 gab es deswegen einfach mal 5 Minuten so laute Knallereien auf dem Rathausvorplatz, dass nicht nur ich, sondern auch die Erde gezittert hat (kein Witz) und alles voller Qualm und Knall war, Knall durch Mark und Bein, unfassbar laut, määän. Feuerwerk am helllichten Tag – so was machen doch nur Verrückte. Ein Erlebnis.
Ach, Valencia.
In ein paar Jahren sagt José dann zu einem seiner zukünftigen Couchsurfer: „Und was ist dein Lieblingstier? Meins ist Schildkröte. Ich hab mal eine kennegelernt, aus Deutschland, stell dir vor, sie hatte kein Lieblingstier, unglaublich! Und das war an einem Sonntag, als sie kam.“
Ach, Valencia.